Irrwege
Irgendwie habe ich immer das Gefühl, mein Leben geht Umwege.
Ich scheine nie auf direktem Wege das zu bekommen, was ich mir wünsche, was meine Aufgabe ist, was für mich gedacht ist, sondern immer irgendwie über Irrwege und Hindernisse.
Es ist egal, ob es sich um Beziehungen handelt, um Jobs, um Besitz…ich muss immer kämpfen oder warten…oder beides.
Ich wollte nach dem Abitur unbedingt ins Ausland. Ich wollte nicht auf mein Bauchgefühl hören und bin in die USA gegangen. Ich bin gescheitert, aber auch gewachsen. Die Zeit hat mich geprägt und mein Leben verändert.
Entgegen meinem Willen habe ich auf Lehramt studiert. Und durch Zufall bin ich nach zwei Jahren von Latein zu Englisch gewechselt. Ohne den USA-Aufenthalt wäre das nicht denkbar gewesen! Und dann bin ich nach Großbritannien gegangen, wo ich zwei Jahre gelebt habe.
Ich hätte ohne diesen Aufenthalt wahrscheinlich meinen Ex-Mann nicht kennengelernt. Ich wollte nichts von ihm, wir waren Freunde. Seine Ex hatte mir zugesetzt, so dass ich gegangen bin und den Kontakt abgebrochen habe. Irgendwann sind wir uns wieder über den Weg gelaufen und waren 20 Jahre zusammen.
Ich wollte nie Lehrer werden. Ich wollte eigentlich was Richtung Frühneuhochdeutsch oder alternativ Linguistik machen. Aber dann bin ich in der Schule gelandet.
Aufgrund meiner linguistischen Vorbildung habe ich mich immer mit Spracherwerb und Sprachförderung befasst und mich auch stets in diesen Bereichen engagiert. Das konnte DaZ sein, Fremdsprachenerwerb, Sprachstörungen, Legathenie, was auch immer.
Als ich dann an meiner ersten Schule in Hamburg war, durfte ich die Qualifizierung zur Sprachlernberaterin machen. Ich wurde angenommen, aber in der ersten Sitzung nach Hause geschickt, weil Lehrer von Privatschulen nicht teilnehmen durften. Danach wollte mich keine Schule in dieser Position, bis ich irgendwann gezwungen war, die Schule zu wechseln. An der neuen Schule bin ich einfach gefragt worden, ob ich die Sprachförderung übernehmen möchte. Mittlerweile bin ich Sprachlernberaterin.
Ich habe viele Fortbildungen und Kurse im Bereich Sprachförderung gemacht. Ich wurde oft gefragt, warum ich keine Ausbildung zur Logopädin mache oder Ähnliches, aber ich hatte weder die Zeit noch das Geld dafür.
Und jetzt beginne ich eine Ausbildung zur Lerntherapeutin. Ich habe lange darüber nachgedacht und viele Gründe gehabt, warum das nicht geht. Aber auf einmal hatten sich alle Gründe in Luft aufgelöst.
Seltsam, wie das Leben trotz all der Hindernisse, Abgründe, Blockaden doch irgendwie seinen Weg findet und einen dorthin führt, wohin man gehen soll, oder? Wie man am Ende dann doch dort ankommt, wo die nächste Aufgabe auf einen wartet, oder der Mensch, der zufällig denselben Weg hat, oder …
Ich stehe an einem Punkt, wo ich gerade vor etwas Neuem stehe. Ich spüre es, aber ich sehe es nicht. Mein Leben macht sich gerade wieder selbständig und sucht sich seinen Weg. Und das zieht die Aufgaben und Menschen an, die diesen Weg prägen und mich begleiten. Es passiert, weil es so muss.
Eigentlich kann ich ganz engtspannt sein. Ich war schon oft an diesem Punkt. Alles scheint gerade leer und ungewiss, aber in der Vergangenheit waren diese Phasen immer die Wendepunkte. Und ich sollte wissen, dass am Ende immer alles gut wird. Also gehe ich auch jetzt davon aus, dass es so sein wird. Ich bin dann nur ein Stückchen weiter. Und das ist tatsächlich gut!