Strukturen…
Eine metaphysische Fiktion Teil 3
Wenn es verschiedene Welten oder Systeme gibt, in denen Existenzen in unterschiedlichen Ausprägungen bestehen, was folgt daraus weiter?
Um ehrlich zu sein: Wir können es nicht wissen, da wir unser eigenes System nicht verlassen können.
Aber wir können Gedankenexperimente zulassen, die seltsamerweise mehr oder weniger Sinn ergeben – und die, merkwürdig genug, bei Menschen unterschiedlicher Prägung und zu unterschiedlichen Zeiten erstaunlich ähnliche Formen annehmen.
Ich stelle es mir folgendermaßen vor – und gehe dabei zunächst nur von uns Menschen aus:
Der Mensch und die Problematik der Solidität
Wir Menschen haben eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung. Wir sind linear, zeitlich begrenzt und zudem extrem solide – und damit isoliert.
Unsere Solidität bringt mehrere Probleme mit sich:
Unsere Körper sind angreifbar und anfällig. Wir sind permanent in Gefahr, an Krankheit oder an Verletzungen zu sterben, sofern wir nicht durch den natürlichen Verfall irgendwann zerfallen. Je jünger oder älter wir sind, desto vulnerabler sind wir in der Regel.
Wir sind allein nicht überlebensfähig. Natürlich gibt es Einsiedler oder Menschen, die unter Extrembedingungen allein überlebt haben, doch in der Regel sind wir soziale Wesen, die – wie andere nicht wehrhafte Säugetiere – die Gemeinschaft brauchen. Wir sind Nesthocker, brauchen lange, um Wissen und Kompetenzen zu erwerben, und unsere körperliche Kraft ist begrenzt. So werden wir leicht zur Beute von Raubtieren oder anderen Widrigkeiten – auch von anderen Menschen.
Unsere körperliche Unterlegenheit zwingt uns permanent zu Anpassungsprozessen, damit wir uns gegen eine feindlich gesinnte Umwelt behaupten können.
Die Paradoxie unserer Existenz
Das bedeutet für uns Menschen, dass wir immer wieder Allianzen eingehen müssen, um uns behaupten zu können.
Wie alles in der Schöpfung strebt auch der Mensch naturgemäß nach dem optimalen Zustand und versucht, sich stetig zu verbessern (vgl. Teil 1: Wirken der Entropie).
Denn jedes Naturgesetz wirkt im Großen wie im Kleinen:
„Et quod inferius est sicut quod est superius, ad perpetranda miracula rei unius.“
Während energetische oder teilsolide Existenzen durch ihre gegenseitige Verbundenheit danach streben, das Zusammenleben im Kollektiv zu verbessern, strebt ein solides Wesen in erster Linie nach dem Optimum für sich selbst – denn es ist ein geschlossenes System.
Das ist das Paradoxon unserer Existenz: Wir sind auf Gemeinschaft angewiesen, um zu überleben, und zugleich darauf programmiert, uns als geschlossene Systeme zu optimieren und nach dem Höchsten zu streben.
Solange wir im anderen einen persönlichen Nutzen sehen, begegnen wir ihm mit Liebe und Aufmerksamkeit.
Das Prinzip lautet: Unser Geben nützt uns am Ende selbst – es sichert unsere Weiterexistenz und verschafft uns Vorteile.
Dieses Prinzip ist bereits in sehr jungen Kindern angelegt (vgl. Oikeiōsis-Lehre, von griech. οἰκεῖος: zugehörig, vertraut, eigen). Im Grunde beschreibt sie nichts anderes als den Selbsterhaltungstrieb, der dafür sorgt, dass wir nicht nur uns selbst, sondern auch Familie, Freunde und Nachbarn zu uns „Zugehörigen“ machen, weil sie uns nützen.
Die Stoa idealisiert dieses Prinzip für meinen Geschmack etwas zu sehr – aber sie liegt nicht falsch.
Ich denke nämlich, dass der Mensch nicht von Natur aus ein soziales Wesen ist.
Moral und Entropie
Warum verhalten wir uns dennoch so, dass wir uns nicht gegenseitig zerstören?
Wenn der Mensch eigentlich egoistisch und machthungrig ist, wenn er für sich das Beste will – warum gehen wir uns nicht permanent an die Gurgel?
Natürlich, weil wir Gesetze haben.
Weil Kirchen und Religionsgemeinschaften Gebote formuliert haben, nach denen wir uns richten sollen.
Weil wir wissen, was rechtlich, moralisch und ethisch richtig oder falsch ist.
Aber woher kommt dieses Wissen?
Warum besitzen wir es, ohne dass wir es lernen?
Und warum entscheiden wir uns wider besseren Wissens immer wieder gegen das Richtige?
Die letzte Frage lässt sich leicht beantworten:
Weil wir
a) den freien Willen haben und
b) nach dem Optimum für uns streben – was nicht immer mit dem Richtigen korrespondiert.
So stellen wir das Gesetz der Entropie über das moralisch Richtige.
Doch dann besteht immer die Gefahr, dass wir alles – auch uns selbst – zerstören.
Und genau das geschieht:
Wir machen alles kaputt, obwohl wir es besser wissen.
Unsere Umweltzerstörung ist nichts anderes als das Ergebnis einer zunehmenden Ignoranz gegenüber dem, was wir als moralisch richtig kennen.
Als wäre das, was uns sagt, was richtig oder falsch ist, schwach geworden, defekt, nicht mehr wirksam.
Die „untere Struktur“
Was aber ist dieses „Etwas“, das uns sagt, was richtig oder falsch ist?
Wenn es mehrere Systeme gibt, die unabhängig voneinander parallel existieren, muss etwas ihr Zusammenleben regeln.
Ich nenne es die untergeordnete Ebene – oder untere Struktur.
Platon nannte sie die Welt der Ideen (κόσμος νοητός, Platon, Timaios).
Andere Begriffe dafür sind zum Beispiel:
- νοῦς (Nous, Plotin / Neuplatonismus),
- mundus intelligibilis (Hermetische und spätantike lateinische Tradition),
- Reich der reinen Vernunft (Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft),
- סְפִירוֹת (Sefirot, Kabbalistische Tradition),
- عالم المعاني (ʿĀlam al-Maʿānī, Islamische Philosophie – al-Fārābī, Avicenna, Suhrawardī),
- sowie die Archetypen des kollektiven Unbewussten (C. G. Jung, Analytische Psychologie).
Dies sind nur einige der Bezeichnungen und Ideen, die in unterschiedlichen Kulturen und Epochen auf dasselbe Prinzip verweisen:
eine Ebene, die unser Zusammenleben regelt, weil sie mit „Trägern“ aus allen Systemen verbunden ist.
Diese Träger bringen ihre Eigenarten und Bedürfnisse ein, wodurch sich die moralischen Standards fortlaufend anpassen.
Diese universelle Ethik fließt in alle Existenzen, ohne dass wir es merken.
Jede Existenz ist mit dieser Ebene verbunden und hat dadurch Zugriff auf moralische Muster, die für die gesamte Schöpfung gelten, aber individuell modifiziert werden.
Für solide Wesen – also uns – ist ein anderer Wertekanon notwendig als für energetische, die in Kollektiven leben. Energetische Existenzen sind weniger aggressiv und kaum egozentrisch, da das Konzept des „Egos“ für sie nur eine marginale Rolle spielt.
Obere Ebene und Schöpfung
Die untere Ebene wird von der oberen Ebene kontrolliert und gesteuert.
Fallen Träger aus oder gerät ein System aus dem Gleichgewicht, greift sie ein.
Zugleich fungiert sie als Verbindung zwischen Schöpfung und Schöpfer.
Die Schöpferebene selbst – die uns geschaffen hat, damit wir ihr Spiegel sind – hat ein Interesse daran, ihre Schöpfung zu bewahren und weiterzuentwickeln.
Denn nur so kann sie sich selbst spüren und anpassen.
Sein ohne Gegengewicht, ohne Reibung, bleibt unspürbar und erstarrt.
Defekt und Transformation
Doch die untere Ebene ist defekt geworden.
Dadurch sind die Systeme korrumpiert und geben kompromittierte moralische Werte zurück – ein Teufelskreis.
Deshalb muss diese Struktur angepasst werden:
Statt eines starren hierarchischen Wertesystems entsteht eine komplementäre, dynamische Struktur, die durch aktive Trägerschaft lebt und sich ständig an die Notwendigkeiten der Systeme anpasst.
Diese Veränderung ist notwendig geworden, weil
die alte Struktur sich überlebt hat,
ein neues Setup im nächsten Zyklus keine Verbesserung brächte,
und die Barrieren zwischen den Systemen zunehmend durchlässig werden.
Auf der Schwelle zum Neuen
Auch die Menschen beginnen zu erkennen, dass wir nicht allein sind.
Viele Modelle und Überlegungen führen zu dem Schluss, dass es andere Dimensionen geben muss – dass die Wirklichkeit weit komplexer ist, als wir denken.
Namhafte Wissenschaftler veröffentlichen entsprechende Überlegungen, und sie machen Sinn.
Was, wenn wir auf der Schwelle zu etwas Neuem, etwas Aufregendem stehen?
Und die Menschheit weiß es noch nicht?
Was dann?
Dann brauchen wir eine starke, lenkende Struktur, die uns Orientierung gibt.
Denn wenn die Systeme sich immer stärker verbinden, werden unsere Konzepte in Frage gestellt, Glauben geprüft, Strukturen herausgefordert.
Und es wird wieder Menschen geben, die ihren Vorteil suchen – auf Kosten anderer.
Doch das, was kommt, richtet sich nicht gegen unsere Ideen, Philosophien oder Religionen.
Es korrespondiert mit ihnen.
Es ist bereits dort verankert – in Mythen und Narrativen, in Wertekanons, in Schemata.
Alles ist schon da.
Wir müssen es nur annehmen und verstehen.
Nur!
Ich weiß … 😄
